New-York-City-Marathon 2019

April 2019 – Artikel von Eike Nienaber über Emin da Silva

Manchmal sagen Zahlen mehr als tausend Worte. Bei Emin da Silva scheint dies defi­nitiv der Fall zu sein. 240 Kilo­meter in 45 Stun­den ohne Pause auf dem Lauf­band, 63 Mara­thons an 63 aufein­ander­fol­genden Tagen von Bremen bis zur türkischen Grenze oder 110 Kilo­meter bei 40 Grad Celsius in der ältesten Wüste der Welt inklu­sive Endspurt auf die welt­weit höchste Düne – dabei inner­halb von zehn Jahren 60.000 Euro gesam­melt und damit unzäh­ligen hilfsbe­dürf­tigen Menschen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.

Verkehrte Richtung? Keineswegs! Lediglich verkehrt herum will Emin da Silva im kommenden November den berühmten New York Marathon laufen – so wie bereits zuvor in Bremen. (Foto © vd)

Ohne Frage, Emin da Silva ist ein Mann der Super­lative. Und diese schlängeln sich wie ein dicker roter Faden durch das Leben des 46-jäh­rigen Bremers. Geboren in einem kleinen Dorf im Osten der Türkei, wuchs er mit 14 Geschwis­tern in einer Groß­familie auf. Seine Kindheit war geprägt durch den kurdisch-tür­kischen Konflikt. Kurz vor der Verpflich­tung für den Militär­dienst entschloss er sich, seiner Heimat den Rücken zu kehren und die Flucht nach Deutsch­land anzu­treten. Allein wagte er den Aufbruch in eine ungewisse Zukunft, nach einer 40-tägigen Odyssee durch Europa erreichte da Silva schluss­end­lich mit 70 weite­ren Flücht­lingen seine neue Heimat: die Hansestadt Bremen.

28 Jahre ist das jetzt her, und aus dem schüch­ternen und unsi­cheren Asylbe­werber von einst ist ein selbst­bewusster Mann in den besten Jahren geworden, der sich mittler­weiler einer gewissen lokalen Prominenz erfreut und den Deutsch­lands wohl berühm­tester Extrem­sportler Joey Kelly einmal als „noch viel verrückter als ich“ bezeich­nete. „Das Schöne daran ist, dass ich mir meine Bekannt­heit dadurch erworben habe, indem ich anderen Menschen helfe“, freut er sich. Doch der Reihe nach. Die ersten Schritte in der neuen Heimat waren noch eher steinig. „Ich kannte die Sprache nicht, die Kultur war mir fremd und ich war allein“, blickt da Silva zurück. Der Start in sein neues Leben sei nicht ganz so optimal verlaufen, wie er heute bilanziert. So manch bürokra­tische Hürde gilt es zunächst zu überwin­den. Zehn Jahre muss er warten, bis sein Asyl­antrag schluss­endlich bewilligt wird. Er darf nicht arbeiten, lediglich warten, hoffen, bangen … eine Dekade lang.

König Fußball als Türöffner

Dennoch weiß er die Zeit zu nutzen. Da Silva lernt die Sprache und öffnet damit die ersten Türen zur Integration. Er tritt dadurch zunehmend selbst­bewusster auf und lernt, auf die Menschen zuzu­gehen. Zudem wird König Fußball zur weiteren Eintritts­karte in die Gesell­schaft. Er spielt im Verein und findet schnell Anschluss, auch bei seinen deutschen Mitspie­lern. „Durch Sport gelang mir der größte Brücken­schlag zu den Einhei­mischen“, sagt da Silva, der schon während seiner Kindheit und Jugend begei­sterter Fußballer war und mit Gleich­al­trigen auf den Hinter­höfen in seinem abge­legenen Heimat­dorf kickte. Und auch die bürokra­tischen Hürden werden nach und nach kleiner. Da Silva holt seinen Schulab­schluss nach und absol­viert eine Ausbil­dung zum Tischler. Sein Gesellen­stück – ein aufwen­dig gestalteter Schrank – ziert noch immer seine Woh­nung und erinnert ihn als Symbol für seine erfolg­reiche Inte­gration an die ersten Jahre in der neuen Heimat.

2010 und 2011 legte Emin da Silva jeweils 110 Kilometer zurück durch die Namib-Wüste – bei 40 Grad Celsius mitten im südafrikanischen Hochsommer. (Foto © vd)

Ohne Frage, da Silva hat Geduld bewiesen und hart dafür gearbeitet, ein Teil der Gesell­schaft zu werden. Aber er ist auch dankbar, und er möchte etwas zurück­geben. „Der Sport bot sich hier als ideale Platt­form an.“ Mit dem frisch bewil­ligten Asyl­antrag in der Tasche, joggt er symbolisch von Hamburg nach Berlin „in die Freiheit“. An Spenden­gelder und Spon­soren denkt er jener Tage noch nicht. „Ich wollte ledig­lich meine Dankbar­keit zum Ausdruck bringen und andere Menschen moti­vieren, an ihre Träume zu glauben, ihre Ziele weiter­zu­ver­folgen und sich nicht von Rückschlägen aus der Bahn werfen zu lassen – ganz gleich, wie diese Ziele aussehen“, erklärt er seine damaligen Beweggründe.

Bei seiner nächsten Aktion rücken erstmals auch kari­tative Zwecke in den Fokus. Ende 2010 läuft er 110 Kilo­meter durch die namibische Wüste und sam­melt Spenden für ein lokales Schulpro­jekt. Im Jahr darauf wieder­holt er den Lauf und trotzt erneut zugunsten karita­tiver Zwecke der hoch­som­mer­lichen Hitze im südwest­afri­ka­nischen Land. Da Silva weiß damit das Interes­se der Öffent­lich­keit zu wecken. „Da habe ich Lunte gerochen und gemerkt, dass man mit Sport jede Menge Gutes bewirken kann – und das nicht nur für den eigenen Körper.“ Weitere Aktionen folgen. Beim Bremer Marathon ist er mittler­weile Stamm­gast. Diesen jedoch lediglich wie alle anderen zu absolvieren, ist da Silva nicht genug. Er legt die Strecke rückwärts, auf einem Bein, mit verbun­denen Augen oder wie im vergan­genen Oktober mit dem Ball jonglierend am Fuß zurück. Damit unterstützt er die verschie­den­sten gemeinnützigen Projekte und Institutionen.

Geschafft: Nach 45 Stunden ohne Pause auf dem Laufband
war das Medieninteresse groß. (Foto © Eike Nienaber)

2013 dann folgt sein „Lebenslauf“. Beim Heimspiel gegen Schalke wird da Silva von 40.000 Menschen laut­stark aus dem Weser­stadion verab­schiedet und bricht auf zu einer Reise, die ihn in den darauf­fol­genden 63 Tagen an seine körper­lichen und emotionalen Grenzen brin­gen soll. 63 Marathons läuft er, durchquert dabei acht Länder – bis an der bulga­risch-tür­kischen Grenze End­station für ihn ist. Da sind sie wieder, die bürokra­tischen Hürden. Der letzte Strecken­abschnitt samt Endspurt über den Bosporus wird da Silva von den türki­schen Behörden verwehrt. „Das war eine meiner größten Enttäu­schungen. Damit hatte ich nach all der akribischen Vorbe­reitung nicht gerech­net. Ich konnte es lange nicht fassen und brauchte einige Zeit, dies zu verdauen“, blickt er auf jene Tage im Frühsom­mer 2013 zurück. Doch mit Resignation hätte es Emin da Silva ganz sicher weder ins Weser­stadion und schon gar nicht an die Grenze seines Heimat­landes geschafft. So bedient er sich einer modi­fi­zierten Weisheit Sepp Herbergers und sagt sich „nach der Aktion ist vor der Aktion“, läuft für Tier­schutz­bund, Blinden­hilfe oder Kinderheime.

Der Bundespräsident sagt „Danke“

Der Bremer Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) macht da Silva darüber hinaus zu seinem haupt­amt­lichen Integrations­beauf­tragten und Jugend­helfer in der Flüchtlings­hilfe, eine perfekte Personal­ent­scheidung. Irgend­wann kommt der Dank, den da Silva mit seinen Aktionen zum Ausdruck bringen möchte, zurück – von allerhöch­ster Stelle sogar. Bundesprä­sident Joachim Gauck lädt da Silva 2014 zu sich ins Schloss Bellevue und ehrt ihn für sein Engagement. „Das war schon eine faszi­nierende Erfah­rung, dass der höchste Mann im Staat, mir, dem ehema­ligen Asylanten, dankt“, sagt da Silva noch immer mit einem Strahlen im Gesicht. Selbst­verständ­lich legte er die Strecke von Bremen nach Berlin auch nicht mit dem Auto oder dem Zug zurück, sondern per pedes im Laufschritt.

Zu seinem 45. Geburtstag macht sich da Silva dann ein Geschenk der beson­deren Art. Für jedes Lebens­jahr schwitzt er auf dem Laufband eine Stunde… am Stück, ohne Pause und medien­wirksam mitten im Bremer Einkaufs­zentrum Weserpark. Gesell­schaft leisten ihm dabei jede Menge „Mitläu­fer“, darunter auch Willi Lemke und Werder-Boss Marco Bode. Natür­lich ist auch dieser Lauf wieder für die gute Sache. Am Ende freuen sich der Bremer Sport­garten und der Verein FluchtRaum über die Spen­den­erlöse.

Der höchste Düne „Big Daddy“ Namibia (Foto © vd)

Mit dem Wüsten­lauf in Namibia gab da Silva vor zehn Jahren den Start­schuss zu seiner Sportler-Karriere im Dienste der Mensch­lichkeit. Rund 60.000 Euro konnte er bis zum heutigen Tag so zusam­menlaufen. Und ein Ende ist nicht absehbar. Im Gegenteil, die Pla­nungen zu seiner nächsten Aktion laufen bereits auf Hoch­touren. Im November möchte er die neue Welt erobern – beim New York Marathon. Und da die konven­tionelle Teil­nahme am wohl berühm­testen Langstrecken­lauf der Welt Emin da Silva nicht genug ist, möchte er die 42,195 Kilo­meter lange Strecke im Rückwärts­gang zurück­legen. Wie immer geht es ihm dabei nicht um die Zeit und Plat­zierung. „Ich möchte eine Botschaft rüber­bringen“, bringt es der 46-Jährige auf den Punkt. Und natür­lich soll das Ganze auch wieder einem wohl­tätigen Zweck zugute kommen. Dieses Mal ist es der ASB-Wünschewagen, der todkranken Menschen noch einmal Freude schenkt und lang gehegte Wünsche erfüllt, der von der Aktion am Big Apple profi­tieren wird. Die ersten Trainings­einheiten sind absol­viert, und momentan ist da Silva auf der Suche nach Sponsoren, die ihn bei seinem Vorhaben unterstützen möchten.

Emin da Silva ist ein Parade­beispiel dafür, dass es sich lohnt, fest an seine Träume zu glauben und konti­nuierlich daran zu arbeiten. „Ich habe es stets geschafft, mich trotz aller Rückschläge zu moti­vieren und konnte dadurch meine Ziele erreichen“, sagt er und fügt hinzu: „Das möchte ich gern weiter­geben und die Menschen motivieren.“

Seit Kurzem ist der 46-jährige Extremsportler und Sozial­arbeiter auch als Referent unterwegs. In seinen Vorträgen verdeut­licht er an seinem eigenen Beispiel, dass mit Arbeit und Geduld sowie dem Glauben an sich selbst und die eigenen Stärken Unmög­liches mög­lich werden kann. Neben seiner Arbeit beim ASB, der ihn bei all seinen Vorhaben nach allen Kräften unterstützt, bildet sich da Silva derzeit zum Motivations-Coach fort. Die Ziele sind ihm noch nie ausge­gangen und das neue Ziel, anderen Menschen zu helfen, ihre eigenen zu erreichen, verfolgt Emin da Silva mit ebenso viel Elan wie den anvisierten Ziel­einlauf beim nächsten New York Marathon … rückwärts der Zukunft entgegen.

Im Laufe der Jahre hatte Emin da Silva so manch prominente Unterstützer wie Marco Bode, Joey Kelly, Willi Lemke oder auch Barbara Schöneberger und den dama­ligen Bundes­präsidenten Joachim Gauck. (Fotos © Werder/Nienaber/vd)

Quelle: Dieser umfangreiche Artikel von Eike Nienaber wurde im April 2019 veröffentlicht im Magazin „Mittendrin“ der Mediengruppe Kreiszeitung (Verlagssonderveröffentlichung Lifestyle-Freizeit-Gesundheit)

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