Mein Name: Emin da Silva. Im Jahre 1973 wurde ich in der Türkei geboren und bin in einem kleinen Dorf im Osten des Landes – in einer Großfamilie mit 14 Geschwistern – aufgewachsen. Die Kindheit und Jugend bis zu meinem 17. Lebensjahr waren geprägt durch den türkisch-kurdischen-Konflikt. Die Militärverpflichtung schließlich bewegte mich im Jahre 1991 zur Flucht nach Deutschland.
Alleine ohne Familie machte ich mich auf den Weg zu einer über 40 Tage dauernden Flucht. In Deutschland begegnete ich einer fremden Kultur. Schon damals war Sport für mich ein wichtiger Bestandteil meines Lebens.
Ursprünglich wollte ich in Istanbul nach meinem Schulabschluss ein Sportstudium beginnen. In Deutschland durfte ich als Asylbewerber viele Jahre weder Ausbildung noch Studium beginnen – und auch keiner Arbeit nachgehen. In verschiedenen Bremer Sportvereinen spielte ich Fußball. In diesen Vereinen lernte ich Menschen kennen, die mich dabei unterstützten Deutsch zu lernen. Immer in ständiger Angst vor einer Abschiebung.
Ausbildung
1998 begann ich eine schulische Ausbildung zum Tischler. 2001, zehn Jahre nach meiner Flucht und Ankunft in Bremen, schloss ich meine Ausbildung erfolgreich als Tischlergeselle ab und im selben Jahr wurde mein Asylantrag anerkannt. Im Anschluss arbeitete ich als Tischler und schließlich als Fitness-Trainer.
„Der Sport hat mir den nötigen Halt in den zehn Jahren meines Asylverfahrens gegeben. Ich sehe mich heute als Botschafter für Völkerverständigung und Frieden über meine Leidenschaft, den Sport. Sport dient als universelle Sprache und als Instrument zum Dialog zwischen Menschen unterschiedlichster Nationen und Kulturen.“
Asyl anerkannt
Mit der Anerkennung meines Asylantrages entschloss ich mich, andere Menschen für den Sport zu begeistern und den Sport für die Völkerverständigung zu nutzen. Mein erster großer Lauf im März 2002: 10 Marathons in 10 Tagen – von Hamburg nach Berlin.
Jetzt wird es heiß
Dezember 2010. Lufttemperatur 52 °C. 108 Kilometer durch die Wüste Namibias. Im Fitnessstudio in der Bremer Neustadt bereitete ich mich in einer 80 °C heißen Sauna in zweistündigen Trainingseinheiten auf dieses Vorhaben vor. Dieser Lauf durch die Wüste hat mich in einer ganz besonderen Art geprägt. Aus Bremen hatten wir für die Unterstützung einer Schule €3.500 im Gepäck. Die Armut der Menschen vor Ort zu sehen schockierte mich. Den Lauf in Namibia wiederholte ich im Jahr 2011. Im Rahmen der Vorbereitung lief ich auf einem Laufband – für jedes Land der Erde drei Minuten – also insgesamt 627 Minuten. Dabei begleiteten mich 209 Kinder aus vielen unterschiedlichen Ländern jeweils drei Minuten auf einem zweiten Laufband.
Zwischen den größeren Laufaktionen beteiligte ich mich bei einer Vielzahl gemeinnütziger Marathonläufe oder initiierte selbst Laufaktionen für gemeinnützige Zwecke. Den Bremen-Marathon lief ich rückwärts. Anfang 2017 legte ich die 115 km lange Strecke von Bremen nach Hamburg in einem elfstündigen Lauf zurück.
„Sehen statt Übersehen“ war das Motto 2017, unter dem ich für einen guten Zweck den Halbmarathon in Bremen nicht-sehend (Augenbinde) gelaufen bin, und konnte anschließend Spenden an den Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen übergeben. 2018 ging es sportlich weiter: Der Anlass war mein 45.Geburtstag. In einem 45-stündigen Lauf konnten Spenden für den Bremer Sportgarten e.V. und Fluchtraum Bremen e.V. gesammelt werden.
Mein 100. Marathon war ein ganz besonderer und überaus schöner Höhepunkt für mich. Insbesondere im Rückblick auf meinen überaus harten ersten Marathon im Jahr 1996.
Eine Steigerung und einen meiner schönsten Momente als Läufer erlebte ich 2019 beim New-York-City-Marathon, welchen ich zur Unterstützung des Projekts ASB Wünschewagen rückwärts lief. Es war ein Traum, mit 53.000 Läufern und mehr als zwei Millionen Zuschauern am Straßenrand 42,195 km durch eine Weltstadt wie New York zu laufen.
Im Herbst 2021 stand meine Teilnahme am Vienna-City-Marathon an, mein bisher härtester Lauf: Auf einem Bein laufend verband ich einen Spendenaufruf zugunsten der Flutopfer in Deutschland. Mit meinen Spendenläufen kann ich auf jene Menschen aufmerksam machen, damit sie mehr Hilfe, Unterstützung oder auch Anerkennung erhalten.
Der Sport – und für mich das Laufen – sind weiterhin mein Antrieb. So werde und möchte ich auch in Zukunft laufend über meinen eigenen Tellerrand hinaus schauen – und versuchen neue Brücken zu bauen.
Mein Lebenslauf
Mein größtes Projekt: Der „Lauf meines Lebens“ im Jahr 2013. Von Bremen nach Istanbul in 67 Tagen. 2.800 Kilometer. Zu Fuß. Kurz vor dem Ziel wurde mir die Einreise an der türkischen Grenze verwehrt. Viele Skeptiker hatten im Vorfeld nicht daran geglaubt, dass 67 Marathons am Stück zu schaffen seien. Und ich weiß es: Es geht doch!
Nach meinem Lebenslauf dachte ich nicht, dass es größere Dinge für mich geben könnte. Und es kommt oft anders als man glaubt. Ich erhielt eine Einladung des Bundespräsidenten ins Schloss Bellevue in Berlin. Gerne bin ich der Einladung von Joachim Gauck nach Berlin gefolgt. 361 Kilometer in 6 Etappen. Natürlich laufend.
Und auch damit war und ist noch lange nicht Schluss.
Und was ist heute?
Seit 2013 arbeite ich beim Bremer ASB Arbeiter-Samariter-Bund, Gesellschaft für Zuwandererbetreuung mbH, als Jugendbetreuer in einem Wohnheim für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge.
„Durch meine tägliche Arbeit in diesem Bereich – nichts könnte besser zu mir passen – weiß ich, dass Hilfe und Unterstützung für alleinstehende Flüchtlinge besondere Aufmerksamkeit benötigt.“
Kurzfilm:
Portrait – Emin da Silva – aus Bremen von Videoportal Bremen und NordWest