Emin da Silva – Sport heilt alle Wunden
Bernd Teuber – Zweiundzwanzig Jahre ist es her, dass Emin da Silva als Flüchtling aus der Türkei nach Deutschland kam. Es folgten zehn Jahre als Asylbewerber in denen er nicht nur nicht arbeiten durfte, auch wurde ihm immer wieder vor Augen geführt, dass er nicht bei allen willkommen war. „Das zehrte schon ganz schön am Selbstvertrauen und manch einer meiner Freunde ist daran zerbrochen und hat einen falschen Weg eingeschlagen. Wenn du nichts zu tun hast werden die Tage ganz schön lang und man kommt schon einmal auf dumme Gedanken. Wer weiß wo ich heute wäre wenn ich den Sport nicht gehabt hätte.“
Ein Freund nahm ihn im Jahre 93 mit zum Laufen. Als er verletzungsbedingt mit dem Fußballspielen aufhören musste widmete er sich ganz dem Lauf sport. Es dauerte nicht lange bis er an ersten Wettkämpfen teilnahm. „Erst über 5 Kilometer und dann über 10. Länger erst einmal nicht. Damit der Körper sich auf die neue Belastung einstellen konnte.“ Vier Jahre später folgte dann in Hamburg der erste Marathon. „Ich habe hier alles falsch gemacht was man falschmachen konnte. Drei Wochen lang konnte ich mich anschließend kaum bewegen. Danach bin ich erst einmal kaum gelaufen und habe mich anderen Sportarten wie dem Inlineskaten gewidmet.
„Erst 2002 bin ich wieder eine Langdistanz gelaufen.“ Dann aber gleich richtig. In 10 Tagen lief er beim Friedens„lauf von Hamburg nach Berlin 10 Marathons. Mittlerweile hat er das Streben nach Zeiten und Platzierungen komplett aufgegeben. „Wenn ich bei einem Lauf an den Start gehe will ich etwas Gutes tun. Dieser Sport hat mir so viel gegeben in der schwersten Zeit meines Lebens, jetzt möchte ich ein wenig davon zurückgeben.“
Zweimal hat er an einem 108 km langen Wüstenlauf in Namibia teilgenommen um Spendengelder für Waisenkinder zu sammeln. So stehen überhaupt häufig Kinder im Mittelpunkt seiner Spenden läufe. „Kinder sind unsere Zukunft, sie haben es verdient, dass man etwas für sie tut.“ Da ist es nur natürlich, dass auch sein bisher längstes Projekt Kindern zu Gute kam. Im Frühjahr dieses Jahres startete er vor dem Fußball -Bundesligaspiels zwischen Werder Bremen und Schalke 04 zu seinem Lebenslauf von Bremen nach Istanbul. Die Strecke war seiner Flucht aus der Türkei vor 22 Jahren nach empfunden. Der Plan war an 67 Tagen 67 Marathons zu laufen. „Ich war so voller Euphorie und habe mich so gut gefühlt, dass ich auch noch länger hätte laufen können.“
Aber es sollte nicht sein. Nach 63 Tagen beendeten die türkischen Behörden da Silvas „Lebenslauf“ indem sie ihm die Einreise verweigerten. Da nützte es wenig, dass er für einen guten Zweck unterwegs war. Trotz dem profitierten am Ende acht Kinderprojekte in acht Ländern von seinem Engagement.
Der Marathon in Bremen war dann auch sein bereits 79 Marathon in diesem Jahr. Während für die meisten Läufer schon allein die 42,195 km eine riesige Herausforderung waren, setzte er dem ganzen noch einen drauf indem er die Strecke nicht vorwärts sondern rückwärts laufend zurücklegte. Mit dieser Aktion wollte er auf die Situation der Asylbewerber in Deutschland aufmerksam machen. „Mir hat der Sport damals sehr geholfen und deshalb möchten ich diesen „Gästen“ in unserer Stadt helfen für ein paar Stunden aus der Tristes ihres Daseins in der Asylbewerberunterkünften zu entfliehen.“
Seit einigen Wochen trainiert er ehrenamtlich eine Gruppe dieser „Gäste“ in unserem Land. „Nur wenn wir diesen Menschen dabei helfen schaffen sie es sich in Deutschland zu integrieren.“ Zwar war da Silva bereits im Vorjahr den Halbmarathon in Bremen rückwärts gelaufen, aber mit der Marathondistanz betrat auch er Neuland. Nur wer einmal selbst versucht hat auch nur einige wenige Meter rückwärts zu laufen wird sich vorstellen können was sich der 40jährige Bremer Extremsportler am letzten Sonntag vorgenommen hat. „Ich musste mich die ganze Zeit über voll konzentrieren um nicht zu stolpern oder irgendwo gegen zu laufen. Normalerweise lande ich beim Laufen auf dem Mittelfuß und rolle über den Vorfuß ab. Am Sonntag musste ich die ganze Strecke auf dem Vorfuß laufen, was dazu führte das meine ganze Beinmuskulatur über fast sechs dauerhaft unter Spannung stand.“
Von seiner Freundin auf dem Fahrrad begleitet machte er sich Sonntagmorgen um 9:45 Uhr mit 1.700 anderen Marathonläufern auf die 42,195 km lange Runde durch Bremen. „Die erste Hälfte lief sehr gut und ich bin beim Halbmarathon mit 2:20 Std durchgegangen und habe dabei noch viele Läufer überholt.“ Die Ziel Zeit von 5 Stunden lag hier noch voll im Bereich des Möglichen. Im Bürgerpark begannen dann aber die Probleme. Mehrere Baustellen und enge, verwinkelte Wege machten das Laufen schwer und forderten noch mehr Konzentration als zuvor.
„Auf der Schlachte dachte ich ans Aufgeben, aber ich wußte ja das bei Kilometer 37 einige der Läufer die ich trainiere auf mich warteten um mich ins Ziel zu begleiten. Ohne sie hätte ich es nie geschafft.“ Aber nicht nur seine Mitläufer halfen ihm die Qualen zu über stehen, sondern auch die zahlreichen Zuschauer die ihm aufmunternd anfeuerten. „Es ist schon toll was der Emin alles auf sich nimmt um anderen zu helfen“, befand dann auch eine Anwohnerin am Rande der Strecke. Man kennt und mag den sympathischen Sportler in Bremen, der auch stehend KO noch für jeden ein Lächeln und ein freundliches Wort übrig hat.
Auf den letzten Kilometern musste er dann auch mehrfach aufgrund der verkrampften Oberschenkel kurz stehenbleiben und fragte sich laut selbst „Warum tue ich mir das nur an?“ Mit einem Seitenblick auf seine Mitläufer gab er sich dann aber selbst die Antwort. Nach 5:38:43 Stunden hatte er es aber dann unter dem Jubel der Zuschauer am Bremer Roland geschafft. Es bleibt abzuwarten was er sich als nächstes ausdenkt um anderen zu helfen. Sicher ist nur – er wird es laufender Weise tun.
Quelle: Originalartikel von Bernd Teuber veröffentlicht am 10. Oktober 2016