Kinderhilfsprojekt – Läufer kennt keine Grenzen
aschersleben/MZ – Es sind diese herzlichen Momente wie im Vereinsheim von Lok Aschersleben, die Emin da Silva die ganzen Strapazen vergessen lassen. Ein rotes Handtuch und einen Wimpel bekommt der Deutsch -Türke aus Bremen von Lok-Chef Volkmar Teuke als Begrüßung – und die Entschuldigung dazu: „Hätten wir das eher gewusst, wären wir mit unseren Läufern zum Ortseingang gekommen.“ Emin da Silva nimmt einen Schluck alkoholfreies Bier und strahlt.
Der 40-Jährige machte am Freitagnachmittag Station in Aschersleben, um für sein Projekt zu werben. „Ich will Kinderhilfsprojekte unterstützen.“ Sein Vorhaben dafür klingt unglaublich: Emin da Silva will in 67 Tagen von Bremen nach Istanbul laufen – das sind etwa 2.790 Kilometer. Jeden Tag will er dafür die Marathondistanz zurücklegen.
Man muss bei dieser Aktion unweigerlich an den Film „Forrest Gump“ denken, in dem Schauspieler Tom Hanks quer durch Amerika läuft, begleitet von vielen Gleichgesinnten. Emin da Silva findet den Vergleich gut. Er will die Menschen mit seinem Lauf erreichen und mobilisieren. Vor drei Tagen war er aus Halberstadt nach Aschersleben gekommen – für ihn die bislang härteste Strecke wegen der Höhenunterschiede, die er überwinden musste. Es war der siebte Tag, das siebte Mal, dass der Bremer die 42 Kilometer zurücklegte – schon das ist eine enorme Leistung, selbst für einen Extremsportler. „Wer weiß, wie lange man nach einem Marathon regenerieren muss, kann sich in meine Lage versetzen.“ Überall erzählt er seine Geschichte, bis Freitag waren deshalb schon über 5.000 Euro Spenden laut der eigenen Internetseite zusammengekommen.
Am 6. April war er losgelaufen, aus dem Bremer Weserstadion, unmittelbar vor der Bundesliga-Partie zwischen Bremen und Schalke. Nach seinem Aufenthalt in Aschersleben ging es weiter nach Köthen, am Montag ist er bereits auf Landstraßen in Sachsen unterwegs, Richtung Dresden. Am 11. Juni wird er in Istanbul ankommen, wenn alles nach Plan läuft. Es wird das achte Land seiner Reise sein.
Wer verstehen will, warum der Mann diese unglaublichen Strapazen auf sich nimmt, muss seine Geschichte kennen. Er sei als eines von 15 Kindern im Osten der Türkei geboren und unter sehr schwierigen Bedingungen aufgewachsen. Als junger Mann sei er allein nach Deutschland geflüchtet und habe zehn Jahre als Asylbewerber gelebt, „ohne Unterstützung, ohne Bildung“, wie er sagt. Er stand damit vor dem Nichts.
Während Emin da Silva gesehen habe, wie viele seiner Weggefährten in einer Parallelgesellschaft verharrten und teilweise auf die schiefe Bahn gerieten, habe er die Integration geschafft – mit Hilfe des Sports. Er trainierte in Vereinen wie Werder Bremen, spielte zunächst Fußball und bestritt 1996 seinen ersten Marathon, seither läuft er regelmäßig längere Strecken. Er absolvierte später eine Ausbildung zum Tischler. Mittlerweile, so der Deutsch-Türke, sei er in ganz Bremen bekannt. In seinem Flyer wünschen ihm unter anderem UN-Berater Willy Lemke und Bürgermeister Henning Scherf viel Erfolg.
Mit seinem Lauf will er den Menschen zeigen, dass man mit Hilfe des Sports Grenzen überwinden kann. „Kinder, die Sport treiben, sind viel weltoffener.“ Kindern nicht die Möglichkeiten für die eigene Entwicklung zu geben, sei problematisch, „schließlich sind sie unsere Zukunft“. Ein Teil des gesammelten Geldes bekommt der Verein „Das erste Buch“ in Bremen. Es handelt sich dabei um ein Buch, das von Kindern für Kinder geschrieben wird. Es soll die Kreativität und das Selbstbewusstsein fördern.
Unterstützt wird Emin da Silva bei seinem Lauf von einem dreiköpfigen Team. Physiotherapeutin Juana Beetz kümmert sich um den Läufer, Tufan Yildirim fährt das von Sponsoren zur Verfügung gestellte Wohnmobil und Katrin Baier, die Projektleiterin, begleitet Emin da Silva streckenweise mit dem Rad. „Sie geben mir Kraft in schwachen Momenten“, sagt der 40-Jährige. Vor allem aber bremsen ihn die drei Helfer, wenn er mal wieder zu schnell unterwegs ist. Seine Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt etwa zehn Kilometer pro Stunde.
Angst vor dem Scheitern hat der seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebende Mann nicht. „Ich habe angekündigt, dass ich das schaffe.“ Es könne zwar jeden Tag etwas passieren, aber wenn, „dann pausiere ich eben einen Tag“. Zudem sei er allein im vergangenen Jahr mehr als 8.000 Kilometer zur Vorbereitung gelaufen.
Quelle: Artikel von Marko Jeschor in der Mitteldeutschen Zeitung veröffentlicht am 15.4.2013