Laufen als Therapie
Mawlid Abdi Kawrah und Said Bakali sind zwei jugendliche Flüchtlinge. An ihre Flucht haben sie keine guten Erinnerungen. Mit Sport bekommen sie gemeinsam mit dem Extremsportler Emin da Silva den Kopf frei.
Sie laufen zu dritt, im Gleichschritt, alle haben ein breites Lächeln auf dem Gesicht, haben sichtbar Spaß. Und den haben sie, weil sie genau das machen können, was ihnen eben Spaß macht: das Laufen. Sie, das sind Mawlid Abdi Kawrah, Said Bakali und Emin da Silva. Die drei sind ein Team, aber keines wie jedes andere. Hinter diesem Team steckt eine Geschichte, eine, die unschön angefangen, sich jedoch zum Positiven gewandelt hat.
Mawlid Abdi Kawrah und Said Bakali sind zwei jugendliche Flüchtlinge, beide 17 Jahre. Emin da Silva ist ihr Betreuer beim Arbeiter-Samariter-Bund (ABS) in Bremen, dort wo die beiden untergebracht sind. Mawlid ist in Somalia geboren und aufgewachsen. Das Land am Horn Afrikas leidet seit Jahren unter dem andauernden Bürgerkrieg und der Al Shabaab, einer islamistischen Miliz, die weite Landesteile beherrscht und als regionaler al-Qaida-Ableger gilt. Mit 15 Jahren machte sich Mawlid auf und versuchte in Europa ein besseres und sichereres Leben zu finden. Er schloss sich mit ein paar Freunden einer größeren Gruppe an und verließ sein Heimatland. Seine Familie musste er zurücklassen. Über Äthiopien, Sudan und Libyen kam Mawlid nach Italien, von wo aus er letztendlich Deutschland erreichte – ein Jahr dauerte diese Reise. Was er unterwegs erlebt hat, darüber möchte er nicht sprechen.
Ähnlich geht es in diesem Punkt Said, der vor zweieinhalb Jahren sein Heimatland Marokko verließ. Portugal, Belgien, Dänemark, Schweden – auch Said hat eine lange und beschwerliche Reise hinter sich, die er alleine bewältigt hat, ohne Freunde, ohne Familie. Alles hat Said zurücklassen müssen. Und so wie Mawlid, möchte auch er nicht über die Hintergründe seiner Flucht sprechen. Es sind beides keine schönen Geschichten. Bei der Frage danach senkt Mawlid den Blick und schüttelt den Kopf, merklich kommen Erinnerungen bei ihm hoch, die ihn belasten, die er noch zu verarbeiten hat und die er nicht der Öffentlichkeit mitteilen möchte.
Bei einem anderen Thema sieht das ganz anders aus, da hebt sich der Kopf wieder und die beiden jungen Männer lächeln. Dann, wenn die Rede von Sport ist, speziell vom Laufen. Laufen als Sport hat Mawlid erst in Deutschland für sich entdeckt. Da Silva war es, der ihn und Said auf die Idee brachte. Da Silva ist Extremsportler und wurde unter anderem dadurch bekannt, dass er in 67 Tagen von Bremen nach Istanbul laufen wollte, ihn ein Einreiseverbot in sein Heimatland der Türkei aber kurz vor dem Ziel stoppte. Da Silva, Mawlid und Said verbindet nicht nur das Laufen, denn auch da Silva fand 1991 Zuflucht in Deutschland.
Damit war da Silva der perfekte Anlaufpunkt für die beiden. „Wir sind ihm sehr dankbar für seine Hilfe. Wenn man in ein fremdes Land kommt, kennt man niemanden und weiß nicht, was man machen soll“, sagt Mawlid. Jetzt weiß er es. Beruflich möchte er Krankenpfleger werden, nachdem er seinen Realschulabschluss gemacht hat. Die Schule ist die Nummer eins, das Wichtigste, betont er. Die Nummer zwei ist aber das Laufen, und Mawlid hat Talent. „Er weiß noch gar nicht, wie groß sein Potenzial ist“, sagt da Silva. Mawlid selbst wusste gar nichts davon, dachte er könnte gar nicht so gut laufen. Doch mittlerweile ist er begeistert von der Sportart. Beim Trail Relay am Schwaneweder Hügelgrab schlug Mawlid bereits seinen Lehrmeister über eine Distanz von 7,7 Kilometern. „Auf der Streckenlänge ist er bereits schneller als ich“, gibt da Silva zu und ergänzt: „Wenn der Schüler besser als der Lehrer ist, dann war der Lehrer gut.“ Da Silva wurde somit Zweiter, gefolgt von Said, und Vierter wurde Steffen Wagner, ebenfalls vom ASB und „ein wichtiger Helfer für Mawlid und Said“, betont Emin.
Die Teamwertung ging allerdings nicht an die Vier. „Wir müssen wohl etwas bei der Anmeldung falsch gemacht haben und sind somit nur als Einzelläufer gestartet“, sagt da Silva. Schade aber nicht besonders schlimm, denn Hauptsache das Quartett hatte seinen Spaß. Ohne Sport wären sie nicht zusammengekommen und würden sich nicht so wohl fühlen wie derzeit. „Sport macht den Kopf frei“, sagt Said, der eine Ausbildung zum Maler und Lackierer anstrebt. Er bevorzuge aber nicht das Laufen, sondern Fußball. Doch egal welche Art von Sport, er helfe ihnen dabei, sich zu integrieren, Freunde zu finden und das Erlebte zu verarbeiten. Eine sportliche Therapie.
Quelle: dieser Artikel von Patrick Hilmes wurde veröffentlicht im WESER-KURIER am 03. Januar 2016