Straßenkinder in Bremens Flaniermeile

Auf einem Karton steht oben sichtbar: Dies ist mein zu Hause. In anderen Teilen unserer Welt ist das Alltag. An der Seite steht: Ich werde beschimpft, geschlagen und gejagt. Mir ist kalt. Ich bin einsam.

Schüler der Gesamt­schule Ost beschäf­tigen sich mit den Proble­men von Straßen­kindern in aller Welt und sammeln bereits zum achten Mal in jähr­licher Folge Spenden um die Not zu lindern und erfahren damit ihren persön­lichen Reichtum. Und sie lernen in ein paar Stunden Unge­wöhn­liches wie Betteln, Schuhe putzen oder den Verkauf aus dem Bauch­laden. Kinder­hilfs­organi­sationen führen die Erlöse den guten Zwecken zu.

Mitte. Bereits zum achten Mal, sammelten „Straßen­kinder“ der Gesamt­schule Ost (GSO), unter Mitwir­kung der Initia­torin und Lehrerin für Geschichte, Erdkunde und Politik Anne­marie Beyer, Spenden für Projekte, die armen, verwaisten oder verlas­senen Kindern Hilfe bringen. Louisa und Lea tragen Schirme, an denen Zettel mit Schlag­worten für den Reich­tum unse­rer Kinder und am anderen für die Armut von Straßen­kindern hängen. Vor sich tragen sie Bauch­läden, aus denen sie Kuchen und Klein­tei­liges gegen Spenden ausgeben. Nimmt man sich an diesem Vormit­tag etwas Zeit und eilt nicht im gewohn­ten geschäfts­mäßigen Schritt durch die noble Fußgän­ger­passage des Kathari­nen­kloster­hofs kann sich das Grübeln einstel­len. Da liegt ein Karton am Boden, rechts unter einem Schau­fenster mit feiner hochprei­siger Kleidung. Der Karton ist nicht groß. Jeder könnte ihn unter den Arm klemmen. Auf dem Karton steht oben sichtbar: Dies ist mein zu Hause. In anderen Teilen unserer Welt ist das Alltag. An der Seite steht: Ich werde beschimpft, geschlagen und gejagt. Mir ist kalt. Ich bin einsam.

Die dreizehn­jährigen Schüler der GSO, Lehrerin Annemarie Beyer, Klassen­lehrerin Anika Warnken, Margret Ringies vom Kinder­hilfs­werk UNICEF-Bremen, Andreas Bröcher vom Kinder­schutz­bund Bremen und Emin da Silva Extrem­sportler mit eigenen Kinder-Hilfs- und Spenden­projekten, haben zusammen an einem Strang gezogen, um mit dieser Aktion „terre des hommes“ zu unterstützen.

Terre des Hommes hat zu der Verabschie­dung der Kinder­rechts­konvention durch die UNO am 2. November 1989 beige­tragen. Die Konvention beinhaltet unter anderem das Recht auf Gleich­behandlung, den Schutz vor Diskri­minierung, Unabhän­gigkeit und die Rechte auf Gesund­heit, Bildung und Ausbildung und Privatsphäre. Der Kinder­rechts­konvention der UNO sind mehr Staaten beigetreten, wie allen anderen Konven­tionen der UNO. In dem Karton, der ein Zuhause ist, könnte anderswo ein vier- oder fünf­jähriges Kind auf einem Bahnhof leben und tagsüber wegge­wor­fenes Sammeln, das es vor anderen Kindern vertei­digen muss. Jeden Tag wieder. Dabei hat es Zahn­schmerzen und eine offene Wunde, die nicht versorgt wird. Viel­leicht kann es bald Schuhe putzen oder ist als Mädchen noch ganz anderen Gefahren ausgesetzt.

Foto mit Extremsportler Emin da Silva (re.)

Solch Hintergrundwissen haben sich die Schüler der GSO erarbeitet und sie sind mit Freude gemeinsam dabei, die Passanten anzu­sprechen und auf diese Verhält­nisse hinzu­weisen. Mit ihrem Karton, ihren Bauch­läden, ihren Schirmen und ihrer Decke, auf der Schuhe geputzt werden, weisen sie direkt auf kindliche Lebens­umstände hin, die hier unvor­stellbar erscheinen. Kaan, Stefan und Avni von der GSO wissen, wie gut es ihnen geht. Avnis Vater ist in Odru in der Türkei geboren und hat mit seiner Frau aus Bremer­haven in Bremen drei Obst und Gemüse­geschäfte aufgebaut. Dort hilft Avni gern an schul­freien Tagen. Letztes Jahr war er nach­mittags häufig im „Alkohol­freien Jugend­kaffee“ spielte mit Freunden Billard oder fuhr in der Halvpiepe. Das hat er aufge­geben, um mehr Zeit für Schuli­sches zu haben und fing mit dem Thai Boxen bei Flamingo Gym an. „Wenn ich um 16 Uhr aus der Schule komme, gehe ich zuerst Boxen. Schön schwitzen, dann fühle ich mich besser.“ Avni hat ein blaues Auge. Das stammt von seinem ersten Wettkampf: „Aber ich habe gewon­nen“ sagt der 13 jährige dessen Gegner, „16 Jahre alt ist und einen Kopf größer.“ Avni hat gelernt sich durchzu­setzen. „Ich hab dunkel­häutige Freunde und kenne Polen und Russen, in der GSO gibt es alles.“ „Wir sind so reich hier,“ sagt Avni im Brustton der Überzeu­gung, „und die haben nichts in Afrika und in den Slams in großen Städten.“ Das ausgesuchte Motto der Schüler des Kinder­recht-Teams heißt „Pure Water“, weil ein großes Problem vieler Straßen­kinder trink­bares Wasser ist.

Helfen verbindet

Auf ihren Informationen findet sich auch der Satz:

Kinder von gestern, helfen Kindern von heute, damit es für die Kinder von Morgen ein Heute gibt.

Dieses Motto stammt von Annemarie Beyer, die diese Aktions­tage vor acht Jahren begann und sich nach drei Jahren überle­gen musste, ob sie die Aktion fort­führt, weil die ersten Kinder die Schule verließen. Nachfol­gende Schüler waren dafür offen, diese Aktion weiter­zu­tragen. Weltweit geschätzt gibt es 100 Millionen Straßen­kinder. Die Aktion in der Katha­rinen-Passage erbrachte an einem Vormit­tag über 600 Euro Spenden, 100 Euro für einen Fußball mit Unter­schriften und 50 Euro für einen beson­deren Schreiber, die versteigert wurden. Dieses Geld wird vielen Kindern helfen.

Die Bremer Arbeitsgruppe von Terre des Hommes ist unter Telefon 747 88 Frau Plüme-Brix zu erreichen. Spendenkonto: 700 800 700 bei der Volksbank Osnabrück Bankleitzahl 265 900 25.

Quelle:   Artikle von Edwin Platt auf Blauwall veröffentlicht am 13. Dezember 2011

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