„Ich hatte starke Schmerzen.“ Er hüpfte einen Marathon – auf einem Bein!

Für manche Menschen ist eine Alpen­über­querung die größte sport­liche Heraus­for­derung ihres Lebens. Nicht so für Emin da Silva: Für den Bremer Extrem­sport­ler war die Strecke von 63 Kilo­metern mit 3700 Höhen­metern in diesem Sommer nur die Vorbe­reitung für ein ganz beson­deres Vorhaben: Einen Marathon auf einem Bein hüpfend zu bewältigen.  

Geschafft hat der 48-Jährige das im September in Wien in knapp sechs­einhalb Stunden. „Am Ende war ich wort­wört­lich am Boden. Ich hatte sehr starke Schmerzen“, sagt Emin da Silva. Sein Fazit: „Man kann außer­ge­wöhn­liche Leis­tungen erbrin­gen, wenn der Wille da ist. Dann ist Nichts unmöglich.“

Mediendirektor Peter Schmitt vom Deutschen Leicht­athletik-Verband ist kein anderer Sportler bekannt, der auf einem Bein hüpfend einen Marathon absol­viert hat. „Ich habe noch nie gehört, dass das jemand frei­willig macht“, sagt auch der Ulmer sport­psy­cho­logische Experte Markus Gretz.

Extremsportler da Silva: „Das war der Lauf meines Lebens“

Für Emin da Silva war der gehüpfte Marathon der vorerst letzte Höhe­punkt in einer Reihe sport­licher Extrem­leis­tungen: Er ist Marathons rückwärts und seitwärts gelaufen oder auch mit verbun­denen Augen. Er hat 63 Tage hinter­ein­ander jeweils die Strecke von 42.195 Kilo­metern zurück­gelegt – von Bremen bis an die türkische Grenze. „Das war der Lauf meines Lebens“, sagt da Silva. Ein Jahr lang habe er sich darauf vorbereitet.

Eigentlich sollten es damals noch vier Marathons mehr werden, insge­samt 2800 Kilo­meter von Bremen nach Istanbul in 67 Tagen. Doch an der türki­schen Grenze habe er ein Einreise­verbot bekom­men, erzählt da Silva, der mit 14 Geschwis­tern in einem kleinen Dorf im Osten der Türkei aufge­wachsen ist. Dabei sei er unterwegs gewesen für die Völker­ver­ständigung. „Ich sehe mich als Brücken­bauer zwischen den Kulturen“, sagt da Silva.

Mit 18, als er für den Militärdienst verpflichtet werden sollte, floh da Silva aus der Türkei nach Deutsch­land. Er kam nach Bremen, lebte im Asyl­bewer­berheim, wie er erzählt. Doch bis sein Asyl­antrag aner­kannt worden sei, habe er nicht arbei­ten dürfen. „Zehn Jahre hoffen, jeder­zeit mit der Abschie­bung rechnen, keine Perspek­tive und Zeit ohne Ende.“ Er habe viele Männer, die sein Schicksal teilten, abrutschen sehen.

Da Silva war ehrgeizig, er spielte Fußball, hatte geregelte Trainings­zeiten, lernte von seinen Mitspie­lern die deutsche Sprache: „Der Sport war mein Anker.“ Inzwischen betreut er selbst minder­jährige unbe­gleitete Flüchtlinge.

Da Silva: „Mit Ach und Krach bin ich ins Ziel gekommen“

1996 lief er als Anfang 20-Jähriger seinen ersten Marathon – ohne jegliche Vorbe­reitung. „Ich war völlig ahnungslos, hatte noch nicht mal gute Schuhe“, erinnert sich da Silva. Er hatte Krämpfe, Seiten­stiche: „Mit Ach und Krach bin ich ins Ziel gekom­men. Anschlie­ßend habe ich gesagt: Nie wieder laufen.“ Tatsäch­lich sollten danach über 100 Marathons folgen. „Beim Laufen entstehen Schwingungen; das motiviert mich.“

„Ich bin ein Laufbotschafter“, sagt er. Mit Spenden-Projekten wolle er die Aufmerk­samkeit auf die­je­nigen lenken, denen es nicht so gut gehe wie ihm. „Dass ich ein Leistungs­träger geworden bin, darauf bin ich stolz.“ Vom damaligen Bundes­prä­sidenten Joachim Gauck wurde er zum Bürgerfest einge­laden, zusam­men mit anderen Menschen, die sich für gesell­schaft­liche Anliegen eingesetzt haben. Er fuhr damals nicht mit der Bahn nach Berlin – er lief.

Für sich selbst suche er immer wieder neue Grenzen, die es zu überwin­den gelte. Zwei Mal rannte er über 100 Kilo­meter durch die Wüste Namibias. Als Vorbe­reitung trai­nierte er regel­mäßig zwei Stunden in einer 80 Grad heißen Sauna. „Es gibt immer den Punkt, an dem du denkst, es geht nicht weiter, aber wenn du dann diesen Schritt machst, dann wird es göttlich“, beschreibt da Silva seinen Antrieb. „Sobald du die Medaille um den Hals hast, denkst du schon an den nächsten Marathon.“

Was treibt Sportler dazu an? Der sportpsycho­logische Experte Markus Gretz kennt mehrere Motive. Neben dem Ehrgeiz, besondere Leistungen zu erbrin­gen, spielten bei manchen Menschen auch soziale Gründe eine große Rolle. „Sie schöpfen Anerken­nung und Wert­schät­zung aus ihrem Sport“, sagt Gretz.

Laufen auf zwei Beinen ist da Silva zu langweilig

Ein normaler Lauf, einfach nur auf zwei Beinen vorwärts – das ist Emin da Silva inzwi­schen zu langweilig gewor­den, auch wenn er nach dem gehüpften Lauf in Wien lange brauchte, um sich körper­lich wieder zu erholen. „Ich konnte keine Treppe mehr steigen.“ Bei der Rekon­vales­zenz kann er aber stets auf die Unter­stützung seiner Frau setzen: Sie ist Physiotherapeutin.

Welche neue Herausforderung er sich als nächstes suchen wird, weiß da Silva noch nicht. Er habe schon Ideen im Kopf, aber die seien noch nicht spruchreif.

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Quelle: Ein Artikel der Hamburger Morgenpost vom 4. Oktober 2021